Margot Käßmann

Redebeitrag für die Demonstration „Nie wieder kriegstüchtig!“ in Stuttgart am 3. Oktober 2025

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bewahrheitet sich, was die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann gesagt hat: „Die Geschichte lehrt andauernd, doch sie findet keine Schüler.“ Und so erleben wir seit dreieinhalb Jahren fassungslos eine schleichende Militarisierung unserer Gesellschaft.

Bundeskanzler Merz erklärt uns, wir befänden uns nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden. Außenminister Wadephul sagt: „Russland wird immer Deutschlands Feind bleiben.“ Verteidigungsminister Pistorius will, dass wir „kriegstüchtig“ werden, und avanciert damit zum beliebtesten Politiker des Landes. Roderich Kiesewetter will nun gar den Spannungsfall ausrufen. So wird Kriegsangst geschürt und Vorkriegsstimmung erzeugt.

Dagegen sagen wir als Friedensbewegung in der Tradition Wolfgang Borcherts: Nein! Wir brauchen nicht Abschreckung, sondern Entspannungspolitik. Wir brauchen keine Hochrüstung mit hunderten Milliarden Euro für Waffen und gleichzeitiger Kürzung der Sozialleistungen. Stattdessen brauchen wir Abrüstung, Verhandlungen, Diplomatie. Nicht Kriegstüchtigkeit ist unser Ziel. Friedensfähig müssen wir werden!

Vieles haben wir gehört heute, auf drei Punkte will ich noch eingehen.

1. Wehrpflicht 

Ich stehe hier als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFGVK). Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht 2011 war ich einige Jahre Präsidentin der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Die Regierung plant nun ihre stufenweise Wiedereinführung. Aber der Begriff „Wehrpflicht“ ist verharmlosend. Das Grundgesetz garantiert: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“ Ich spreche deshalb nicht von Wehrpflicht, sondern vom Kriegsdienstzwang.

Politik und Militär wollen diesen Zwangskriegsdienst, weil sie auf Masse setzen. In der Militärsprache heißt das „Aufwuchs- und Durchhaltefähigkeit“. Auch da bin ich für Klartext: Der Kriegsdienstzwang schafft Kanonenfutter!

Es sind die Alten, die die Jungen verpflichten wollen, Dienst an der Waffe zu leisten. Und sie jetzt mit Ausbildung, Führerschein, Geld zu locken, wird eben nicht alle gleichermaßen zur Bundeswehr bringen, sondern gerade diejenigen, die aus sozial benachteiligten Familien kommen.

Der Präsident des Reservistenverbandes rechnete kürzlich für den Fall eines Krieges mit Russland mit täglich

5.000 tote Soldaten auf der eigenen Seite.

Das eindeutige Zeichen gegen diesen Wahnsinn ist: Kriegsdienstverweigerung! Die Beratungsstellen der DFG-VK und der Kirchen helfen bei der Wahrnehmung und Durchsetzung dieses Grund- und Menschenrechts. Wobei ich mich schon immer gefragt habe, warum unser Staat das Gewissen derer prüft, die den Kriegsdienst verweigern, nicht aber das Gewissen derer, die ihn leisten wollen. Nach Artikel 4 Abs. 1 Grundgesetz ist die Freiheit des Gewissens ohnehin zu gewährleisten. Wenn es um Wehrpflicht geht, dann um die Pflicht, sich dagegen zu wehren, Kriegsdienst leisten zu müssen.

Wir treten übrigens auch dafür ein, dass junge Männer aus der Ukraine und Russland, die den Kriegsdienst verweigern, in Deutschland politisches Asyl erhalten. Wenn Menschenrechte, dann für alle!

2. Ich stehe hier auch als evangelische Christin. 

Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt und Krieg legitimiert haben. 1948 haben sie gemeinsam erklärt: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“ Das entspricht der Botschaft, die Jesus überliefert hat. Deshalb ist es für mich Gotteslästerung, wenn Patriarch Kyrill in Moskau jetzt Waffen segnet. Für uns ist jeder Mensch Gottes Ebenbild.

Das gilt für Menschen jeden Glaubens. Der brutale Überfall der Hamas auf Kinder, Frauen und Männer in Israel hat mich erschüttert. Und jetzt bin ich wie wir alle schockiert vom Elend, das Israels Armee im Gazastreifen verursacht. Das muss sofort enden! Das darf nicht durch deutsche Waffen unterstützt werden. Aber: Die Regierung Netanyahu ist nicht Israel und Israel ist nicht das Judentum. Judenhass und Antisemitismus sind ein Widerspruch zur Friedensbewegung. Und auch Ausländerhass ist mit der Friedensbewegung unvereinbar.

3. Ich stehe hier auch als Großmutter von sieben Enkelkindern. 

Wenn ich an diese Kinder denke, an die Kinder in der Ukraine und in Russland, in Israel und Gaza, im Kongo, im Jemen, dann sind doch Milliardeninvestitionen in Rüstung keine Investition in ihre Zukunft! Sie brauchen keine „Schnupperpraktika“ bei der Bundeswehr, sondern Friedenserziehung. Ihre Zukunft wird nicht gesichert durch Rheinmetall – die Aktie ist seit 2022 um sagenhafte 2000 % gestiegen! Ihre Zukunft wird gesichert, wenn sie nicht in Armut aufwachsen und Zugang zu Bildung haben! Ihre Zukunft wird nicht gesichert durch Atomwaffen. Sie wird gesichert durch einen Bann aller Atomwaffen und durch Konzepte für ein friedliches Zusammenleben auf unserem Planeten, das die Klimakatastrophe verhindert! Ihre Zukunft braucht keine Kriegslogik, sondern Friedenslogik.

Zuletzt: Die totgesagte Friedensbewegung ist ziemlich lebendig, das sehen wir heute hier in Stuttgart und auch in Berlin. Wir werden gern diffamiert als Putinversteher, naiv, wohlstandsverwöhnt, Lumpen- oder Sofapazifisten. Aber wir lassen uns nicht beirren. Mehr und mehr Menschen sind bereit, sich öffentlich dagegen zu wehren, dass Deutschland durch Waffenlieferungen immer mehr zur Kriegspartei wird. Wir wollen, dass unser Land sich stark macht in Diplomatie, um der Menschen willen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

- Es gilt das gesprochene Wort –

Dr. Margot Käßmann ist ehem. EKD-Ratsvorsitzende und Landesbischöfin von Hannover und u. a. aktiv bei der DFG-VK.

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